ECHO DER GENOSSENSCHAFT

Von der Wunderbaren Medaille zum „Grünen Skapulier“ und zum „Roten Skapulier“: „Talismane“ oder „Zeichen“?

Nr.7-8 Juli/Aug.1990

Seit Jahren wurden mehrfache und wiederholte Bitten an mich gerichtet, und so habe ich mich entschlossen, einige Überlegungen zu diesem zweifellos ein wenig unerwarteten Thema vorzulegen ...

          Wir wissen, dass das 19. Jahrhundert in der Kirche im Allgemeinen und in der Genossenschaft im Besonderen durch eine „Frömmigkeitswelle“ gekennzeichnet war, die je nach Auslegung als veraltet und unwirksam oder aber als stets zeitgemäße Quelle einer evangeliumsgemäßen und charismatischen Erneuerung verstanden werden kann.

          Wenn man zum „Wesentlichen“ vordringt, so scheint mir, dass man nicht weiter zögern wird, sich darüber im Klaren zu sein, dass es hierbei tatsächlich um einen ernsthaften Anruf und einen Reichtum handelt, den wir vielleicht zu sehr vernachlässigt haben. Wir haben dies ausgiebig aufgezeigt hinsichtlich der Botschaft von 1830 aus Anlass der 150-Jahrfeier der Erscheinungen Mariens an Katharina Labouré (vgl. „Echo der Genossenschaft, April-September 1980). Das Skapulier des Unbefleckten Herzens Mariens, „Grünes Skapulier" genannt, im Jahre 1840 der Schwester Justine BISQUEYBURU, Tochter der christlichen Liebe, geoffenbart - und das „Skapulier vom Leiden Christi“ oder „Rotes Skapulier“ genannt, - im Jahre 1846 der Schwester Apolline ANDRIVEAU, Tochter der christlichen Liebe, geoffenbart - sind, wie wir sehen werden, nicht ohne Bezug zur Wunderbaren Medaille: wie diese lenken sie unsere Aufmerksamkeiten auf das Kreuz des Erlösers und auf den Platz Marias im Heilsmysterium. Wir sind also dort, zugleich im Herzstück der Erlösung und im Herzstück unserer Berufung für und in der Welt von heute.

          Indem die Kirche diese „Privatoffenbarungen“ anerkannt hat, hat sie sich nicht eigentlich über die Tatsache als solche und noch weniger über deren Natur und den Vorgang geäußert. Sie stellt offiziell die Übereinstimmung der in diesem übernatürlichen Phänomen enthaltenen „Botschaft“ mit ihrer Glaubens- und praktischen Lehre in ihrer Gesamtheit und in gewissen Punkten im Besonderen. Es ist ein erneuter Anruf zur Umkehr gemäß dem Evangelium, der sich in die konkrete Geschichte der Menschheit und des Volkes Gottes einfügt. Wie sollten wir dieses „Zeichen“ vom Himmel weitergeben können, wenn wir dessen wirkliche Tragweite nicht begreifen oder selbst nicht zutiefst danach leben...? Wie immer, aber jetzt im Rahmen der „neuen Evangelisation“, geht es darum, die heutige Welt mit den Grundfragen des Evangeliums und das Evangelium mit den Grundfragen der heutigen Welt zu konfrontieren.

I - SOLIDE ÜBERZEUGUNGEN

          Beim Herannahen der 400-Jahrfeier der Geburt der heiligen Luise wiederholen die Töchter der christlichen Liebe gerne mit ihr: „Die Liebe Jesu Christi, des Gekreuzigten, drängt uns“. Ich habe des Öfteren bemerkt, dass dieser Ausdruck „der Gekreuzigte“, der mit Absicht dem Text des heiligen Paulus beigefügt worden ist (2 Kor 5, 14), uns in die Gegenwart Christi versetzt, der auf dem Kalvarienberg den Höhepunkt seiner Haltung als „Diener“ erreicht. In seinem Herzen - und in seinem Herzen allein - können wir die Liebe schöpfen, die uns entzünden muss, um Ihm in der Person der Armen zu dienen, mit denen Er sich identifiziert. Zu Beginn der Konstitutionen finden wir folgenden Kommentar zum Siegel der Genossenschaft:

          „Die Liebe Jesu Christi, des Gekreuzigten, die das Herz einer Tochter der christlichen Liebe erfüllt und entflammt, drängt sie, aller Not zu Hilfe zu eilen" (Konstitutionen S. l).

          Wir wissen, dass die Verehrung des Herzens Jesu gerade im 17. Jahrhundert unter dem Einfluss des heiligen Jean Eudes und der heiligen Maria Margareta eine besondere Ausbreitung erfahren hat. Wir sind uns jedoch weniger bewusst, dass auf dem Bild, das den „Herrn der barmherzigen Liebe“ darstellt und das im Mutterhaus aufbewahrt wird, Luise von Marillac bereits dieses Liebe ausströmende Herz zur Geltung bringen wollte. Und damit kommen wir wieder auf das Kreuz zu sprechen: Hatten nicht schon die Kirchenväter und die Mystiker des Mittelalters in der geöffneten Seite des Gekreuzigten „das Tor“ gesehen, das uns in das innerste Erlösungsgeheimnis hineinführt, in das Geheimnis der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, wo Gott, unser Vater, uns sein eigenes Leben, seinen eigenen Geist, weiter schenkt mittels des Opfers seines Sohnes? Das 19. Jahrhundert war ganz genau eine blühende Periode, nicht ganz ohne Widersprüchlichkeiten, welche heutzutage eine gewisse Erneuerung erfährt: „Ein neues Herz für eine neue Welt“, so lautete das Thema eines Treffens 1988 in Brasilien, ein Jahr nach jenem von Paray-le-Monial in Frankreich.

          Wir sollen also zweifelsohne unser Leben und unsere Spiritualität wiederum auf diese Ganzhingabe Christi ausrichten und in demselben Licht unsere Sichtweise des Armen und des Armendienstes erneuern.

-         Wenn wir Eucharistie feiern, das schlechthinnige Gedächtnis des Leidens des Erlösers (K 2,   12);
-         wenn wir das Sakrament der Buße, der Umkehr und der Versöhnung empfangen (K 2, 13);
-         wenn wir Jesus auf dem „Kreuzweg“ folgen;
-         wenn wir besonders den Tag und die Stunde seines Opfertodes ehren;
-         wenn wir erneut die Schriften unserer Stifter über Christus, den Diener, und Maria, die    Dienerin, lesen;
-         wenn wir die Botschaft betrachten, die uns von Katharina LABOURE, Justine BISQUEYBURU und Apolline ANDRIVEAU übermittelt worden ist,

dann gehen wir auf die Quelle unseres Berufsgeistes zu und „bekleiden uns“ - nach einer Ausdrucksweise des heiligen Paulus, die dem heiligen Vinzenz teuer war - mit einer demütigen, einfachen, gütigen, selbstlosen, brennenden Liebe, um so den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden. Unsere Marienverehrung geht in dieselbe Richtung, wie wir gleich sehen werden.

II. - DAS „GRÜNE SKAPULIER“

A - EINE UNBEMERKT VORBEIGEGANGENE 150-JAHRFEIER ...?

          Am 28. Januar 1840 erscheint Maria Schwester Justina BISQUEYBURU, einer jungen dreiundzwanzigjährigen Baskin, die ihr Seminar (Noviziat) im Mutterhaus mit Exerzitien beginnt -die etwas hatten verschoben werden müssen. Sie ist daselbst am vorausgegangenen 27. November angekommen, genau neun Jahre nach der Offenbarung der Wunderbaren Medaille. Der Exerzitienraum befand sich damals oberhalb der Kapelle, existiert aber nach den Umbauarbeiten von 1830 nicht mehr. Die Schwester betete dort vor der Statue Unserer Lieben Frau von der Mission, deren Geschichte ich im „Echo der Genossenschaft“ im Januar 1988 in Erinnerung gerufen habe.

          Diese Vision, die das Unbefleckte Herz Mariens zum Gegenstand hatte, wiederholte sich mehrmals. Aber erst am 8. September des folgenden Jahres, nachdem Schwester Justine ihre erste Versetzung nach Blangy (Seine Maritime) erhalten hatte, fand die bedeutendste Offenbarung statt. Auf einem kleinen Rechteck aus grünem Stoff, das man fälschlich „Skapulier“ nennt - das Maria der Seherin vorzeigte, befand sich auf der einen Seite das Bild der allerseligsten Jungfrau, wie sie sich vorher gezeigt hatte, und auf der andern Seite ein mit einem Schwert durchbohrtes Herz das von einem Kreuz  überragt und von folgender Inschrift umgeben war: „Unbeflecktes Herz Mariä bitte für uns, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“ Hiermit werden wir also aufgefordert, mit der Gnade der Umkehr auch um die Gnade eines guten Todes zu beten.

Die zwei Bilder des „Grünen Skapuliers“

gedruckt im Jahre 1842

          Pater ALADEL, der bereits der Seelenführer von Katharina LABOURE gewesen war, beeilte sich durchaus nicht, um diese Angelegenheit weiterzuführen. Von Versailles aus, wohin die Schwester inzwischen versetzt worden war, drängte sie zu wiederholten Malen über die Vermittlung der Seminardirektorin, die von Anfang an auf dem Laufenden war.

          Im Jahre 1846 wurde dieses Bild schließlich verbreitet und hatte allerlei außerordentliche Gnadenerweise zur Folge, vor allem aufsehenerregende Bekehrungen, wie die des Mörders von Monsignore AFFRE, Erzbischof von Paris, während der Revolution von 1848.

          Nunmehr tauchte die „Seherin“ im Verborgenen unter, diente mutig den Armen, sowohl auf der Insel Krim, in Algier und Rom, wie auch in Rennes und in Carcassonne, wo sie am 23. September 1903 im Alter von sechsundachtzig Jahren starb. Ihre sterblichen Überreste ruhen heute einige Kilometer von dort entfernt in der Kapelle des Hauses von Montolieu, zusammen mit jenen der Schwester Apolline ANDRIVEAU. Am kommenden 8. September werden es 150 Jahre sein, daß sich Maria am Fest Maria Geburt, einer demütigen Tochter der christlichen Liebe offenbart hat, um die Botschaft ihres Unbefleckten Herzens weiterzugeben.

B - EINE „BOTSCHAFT“

          Wie schon erwähnt, ist vor allem die „Botschaft“ wichtig. Versuchen wir diese zu entziffern:

1. Das Unbefleckte Herz Mariä

          Wir müssen hier ähnliche Überlegungen anstellen wie jene, die wir bezüglich des Herzens Jesu gemacht haben, mit dem Maria natürlich untrennbar verbunden ist. Das Herz bezieht sich auf die Person und in dieser zum tiefsten Menschsein und ruft vor allem die Erinnerung an die unendlich barmherzige Liebe Gottes wach, mit der Gott uns erfüllt. Mehr denn je brauchen die Menschen diese göttliche Barmherzigkeit. Maria, die voll Begnadete, hat nur ein Verlangen: vor allem bei den Hilfsbedürftigsten und Verlassensten wie eine Mutter die Liebe auszustrahlen, die ihr im Heilsgeheimnis einen so außerordentlichen Platz zugewiesen hat.

          Vom ersten Augenblick ihres Lebens an war Maria in ihrer Unbefleckten Empfängnis das Objekt dieser göttlichen Liebe. Die Verheißung eines Erlösers begann sich damals zu verwirklichen, um aus uns neue Menschen in Jesus Christus zu machen, der gestorben und auferstanden ist. Maria die Unbefleckte, Makellose stellt die Menschheit in ihrer ersten Schönheit dar. Auf der irdischen Pilgerfahrt der Kirche ist Maria für jedes einzelne ihrer Mitglieder Vorbild und Begleiterin, damit wir alle das Heil in Jesus Christus erlangen können, das sie selbst als Ersterlöste erlangt hat. (vgl. „Echo der Genossenschaft“, Juli und September 1987,über die Enzyklika „Redemptoris Mater“ von Johannes Paul II.). Sie ist das völlige Gelingen der Erlösung und fordert uns zur Hoffnung auf trotz so vieler Not. Denken wir wiederum an die Verehrung, die unsere Stifter und in ihrem Gefolge die Genossenschaft der Unbefleckten Empfängnis bezeigten: Die Erscheinungen und die Botschaft von 1830 und 1840 bestärken uns in dieser Überzeugung und in unserer Sendung.

2. Ein „armes“ Zeichen für die „Armen“

          In einer Welt, die so stolz auf ihre Macht und ihre Technik ist und wo der Mensch all zu oft denkt, dass er ohne Gott auskommen kann oder sich selbst zum Gott macht, braucht es die große Mahnung: Wenn man die geistlichen Werte aus den Augen verliert, wenn man nicht zuerst sich vor Gott innerlich arm macht, um das von Gott kommende Heil anzunehmen, verliert alles Übrige seinen wahren Sinn und läuft Gefahr, sich gegen den Menschen zu wenden. Dieses menschlich gesehen läppische „Zeichen“, wie es eine „Medaille“, ein „Skapulier“ darstellt, lädt uns ein, in der Schule und mit der Hilfe Mariens uns in aller Einfalt für ein unermüdliches Streben nach den geistigen Gütern zu öffnen. Dies ist wirklich eine Botschaft für unsere heutige Zeit; der Nachdruck, der auf die Umkehr gelegt wird, zeigt dies sehr deutlich.

          Das „Magnifikat“ - der Ruf des Unbefleckten Herzens Mariens - stellt auf wunderbare Weise die Verbindung zwischen diesem "Herz des Armen“ und der wirklichen Befreiung des Armen, des Unterdrückten her. Wir alle sind Arme und müssen „befreit“ werden. Das ist nur möglich, wenn man aus dem Geist Gottes lebt. Jeglicher Unterdrückung des Menschen durch den Menschen zum Trotz will dieser Geist ein Volk von Brüdern und Schwestern erwecken. Wer, wenn nicht die die „Vinzentiner“, müssen mehr als alle anderen diese Botschaft der Gerechtigkeit und der Liebe mitten in so viele dramatische und leidvolle Situationen hineinbringen? Ja, das Magnifikat ist für uns ein Lebensprogramm durch unseren demütigen und einfachen Dienst.

          Eine Tatsache hat mich beeindruckt: Auf die Anregung von Ozanam und seiner Freunde hin begab sich Monsignore AFFRE am 25. Juli 1848 mitten hinein in den Aufstand, wo er mit den Worten den Tod finden sollte: „M“ in Blut möge das letzte sein, das vergossen wird ...“. Nun, er war der Erste,der das „Grüne Skapulier" bewilligt hatte, dem man, wie schon erwähnt, die Bekehrung seines Mörders zuschreibt.

          Pius IX, der Papst des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis, erteilte seinerseits zweimal die Genehmigung für die Gesamtkirche, und zwar in den Jahren 1863 und 1870. Wie wir später sehen werden, wird wiederum er das Skapulier vom Leiden Christi und natürlich auch die Vereinigung der Marienkinder, heute „Vinzentinisch-Marianische Jugend“ genannt, genehmigen. Wir haben bereits den Zusammenhang zwischen dem „Grünen Skapulier“ und der Wunderbaren Medaille angesprochen. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, immer wieder die Anrufung zu beten:

„Unbeflecktes Herz Maria, bitte, für uns, jetzt und in der Stunde, unseres Todes.“

          Es scheint so, dass man heute viel lieber vom auferstandenen Christus als vom gekreuzigten Christus spricht.

          Es ist ganz klar, dass der Karfreitag sinnlos wäre, wenn er nicht in das Osterlicht einmünden würde. Aber wir können eben nicht mit Jesus leben, wenn wir nicht mit Ihm sterben; wir können nicht mit Jesus herrschen, wenn wir nicht mit Ihm leiden: Nicht umsonst trägt er an seinem verherrlichten Leib die Wundmale seiner Passion.

          Der wirklichen und so schädlichen Gefahr des „Dolorismus“ (Mystifizierung von Leiden und Krankheit) unter all seinen Formen steht die echte Dynamik einer in Tod und Auferstehung des Herrn verankerten Hoffnung gegenüber, einer Liebe, die im Herzen dieses selben Christus geschöpft wird, das zu Schwester Apolline ANDRIVEAUX sagte: „Schau auf mein Kreuz, und dann sieh zu, ob du mich lieben sollst ...“ Diese Worte sind für eine Tochter der christlichen Liebe jene des Armen, mit dem Jesus sich identifiziert: Schau auf mein Leiden und meine Bedrängnis, und sieh zu, wie wichtig es ist, dass du mir in Demut und Einfachheit mit Liebe dienst.

I - EINIGE DATEN

A - WER IST APOLLINE ANDRIVEAUX?

          Viel weniger bekannt als Katharina LABOURE war sie wie Justina BISQUEYBURU, von der wir oben gesprochen haben - mit besonderen Gnadenerweisen ausgezeichnet worden, welche die Kirche in dem Sinn „anerkannt“ hat, wie wir eben erklärt haben.

          Ihr Eintritt in die Genossenschaft im Jahre 1833 geschah unter dem Zeichen eines großen Verzichtes und bildete so ein Vorspiel zu einem ganz hochherzigen Leben, das besonders durch die Betrachtung der Leidensgeheimnisse des Erlösers getragen wurde. Einundfünfzig an den Generalsuperior Pater ETIENNE gerichtete Briefe offenbaren uns die Geheimnisse ihrer engen Vertrautheit mit dem leidenden Christus.

          In Troyes, wo sie achtunddreißig Jahre als vorbildliche Tochter der christlichen Liebe verbracht hatte, erhielt sie am 26. Juli 1846 ihren eigenen Worten gemäß den Auftrag, „ein scharlachrotes Skapulier zu verbreiten, auf weichem Christus am Kreuz dargestellt war, umgeben von den Werkzeugen seiner Passion, die seiner heiligen Menschheit am meisten Leid zugefügt haben. Um das Kreuz las ich die Inschrift: Heiliges Leiden unseres Herrn Jesus Christus, errette uns! Auf der anderen Seite ... war das Bild der heiligsten Herzen Jesu und Mariens, das eine mit Dornen umgeben und das andere mit einer Lanze durchbohrt, zwischen beiden erhob sich ein Kreuz.“

Das Passionsskapulier

          Schwester Apolline wurde anschließend nach Caen und  nach Montolieu versetzt, wo sie am 23. Februar 1895 im Alter von 85 Jahren ein wirklich mit Christus in Gott verborgenes Leben beendete, um eine Ausdrucksweise des hl. Paulus zu gebrauchen.

B - PÄPSTLICHE GENEHMIGUNGEN

          Pater ETIENNE berichtet selbst in seinem Rundschreiben vom 1. Januar 1848, wie er bei einer Reise nach Rom von Pius IX die Genehmigung erhielt, das „Skapulier vom Leiden unseres Herrn und von den heiligsten Herzen Jesu und Mariens“ herstellen zu lassen. Er ließ ebenfalls in der Kirche von St. Lazare die „Passions-Kapelle“ errichten, die man rechts vom Eingang besuchen kann.

          Inzwischen gründete ein Missionspriester, Pater Antoine Hippolyte NICOLLE, in Valfleury (Loire) die Erzbruderschaft der Heiligen Todesangst unseres Herrn sowie die Kongregation der Schwestern der christlichen Liebe von Gethsemani, die wenig später unter die Zuständigkeit des Erzbischofs von Albi fiel, in dessen Diözese sich deren Mutterhaus befand, und zwar in Mazamet; heute befindet sich dieses in Rive-de-Gier, im Departement de la Loire. Diese beiden Gründungen wurden ebenfalls durch Papst Pius IX anerkannt.[1] Sie stehen natürlich mit dem „roten Skapulier“ in innerem Zusammenhang und wollen als Antwort auf den Anruf der allerseligsten Jungfrau verstanden werden: „Die Welt geht verloren, weil sie nicht an das Leiden Christi denkt; tue alles damit sie daran denkt: tue alles, damit sie erlöst wird!“

          Die Erzbruderschaft von der Heiligen Todesangst hat nun ihren Sitz in der rue de Sevres, Nr. 95, in Paris, und ihre Leitung steht dem Generalsuperior der Missionskongregation zu: Vizedirektor ist gegenwärtig Pater Georges LIGNIE.

          Diese besondere Verehrung des Leidens Christi im Ölgarten ist eine Einladung, die Gefühle seines Herzens in dem Augenblick mitzuempfinden, als Er in seine Passion eintrat. Sie äußert sich besonders durch das Gebet für die Kirche, für den Frieden, für die Sterbenden und durch die Werke der Barmherzigkeit zugunsten der Notleidenden: „Jesus wird bis zum Ende im Todeskampf sein: man soll während dieser Zeit nicht schlafen“ (Pascal).

II - EINIGE ÜBERLEGUNGEN

          Man müsste sich vorerst darauf beziehen, was oben gesagt wurde. Fügen wir einige ergänzende Bemerkungen hinzu. Die Botschaft, die uns von Schwester Apolline ANDRIVEAU übermittelt wurde, ruft uns vor allem Folgendes in Erinnerung:

A - DIE EVANGELISATION IST VON HÖCHSTER DRINGLICHKEIT

          In einer Welt des Unglaubens bildet die Verkündigung des Heilsmysteriums durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi mehr denn je die oberste Priorität. Unsere Stifter haben die Berufung stets als eine Teilnahme an der Sendung der Kirche dargestellt im leiblichen- und geistlichen Dienst an unseren armen Brüdern und Schwestern. Von Anfang an, als die Genossenschaft sich lediglich der armen Kranken annahm, gaben sie den Schwestern die Anweisung, „sie so zu pflegen, dass die Sterbenden in der besten Verfassung aus dieser Welt Abschied nehmen und die Genesenden den Vorsatz fassen, in Zukunft besser zu leben.“

          Der zentrale Platz, den die erlösende Menschwerdung -und also auch das Kreuz - einnimmt, kommt für die Töchter der christlichen Liebe durch ihre „Stellung“ als „Dienerinnen“ in der Nachfolge Christi, des Dieners und der Magd Maria zum Ausdruck. Sie finden Jesus in seinen leidenden Gliedern wieder, „indem sie diese hoch achten und sie herzlich lieben“, wie die heilige Luise sagte. Aber sie haben ebenfalls die Aufgabe, ihnen durch ihr Zeugnis und durch ihr Wort diesen Christus sichtbar zu machen, der jetzt schon in ihrem Leben und in ihrem Herzen gegenwärtig ist: Das II. Vatikanum ruft uns in Erinnerung, dass das Ostergeheimnis in jedem Menschen in einer Weise am Werk ist, die Gott allein kennt. Die rote Farbe des Skapuliers der Passion ist zugleich ein sich Erinnern an das für unser Heil vergossene Blut, und es ist Symbol für eine Liebe, an der wir im gekreuzigten Jesus, ihrer Quelle und ihr Vorbild, teilhaben sollen.

B – „VON STAND UND AMTS WEGEN“ SIND WIR ZEUGEN UND BOTEN DER GÖTTLICHEN BARMHERZIGKEIT.

          Man kann einmal mehr feststellen, wie der Akzent auf der „Umkehr“ liegt als einer Antwort auf die göttliche Vergebung, die uns unaufhörlich angeboten und vorgeschlagen wird, selbst und ganz besonders in unserem tiefsten Elend. Der demütige und einfache Dienst der Tochter der christlichen Liebe soll etwas von dieser zart fühlenden Liebe des Herrn und seiner „Vorliebe“ für die Demütigen und die Gedemütigten erkennen lassen. Einer Katharina LABOURE, einer Justine BISQUEYBURU, einer Schwester Apolline ANDRIVEAU sind gewiss besondere Gnaden geschenkt worden, aber sie waren sich voll bewusst, dass sie durch dieselbe „mit einer Sendung beauftragt waren“, und vor allem, dass sie in Übereinstimmung damit zuerst durch ihr Leben als wahre Töchter der christlichen Liebe „predigen“ sollten. In ihrer Umwelt und bei den ihnen anvertrauten Aufgaben haben sie dem wirklichen Berufsgeist entsprechend „gedient“ in der Überzeugung, dass sie so Zeugen und Botinnen der Barmherzigkeit Gottes, unseres Vaters, sind.

          „Am Dreifaltigkeitssonntag“, schreibt Schwester Apolline, „ließ mich unser göttlicher Erlöser während der Betrachtung einen schönen Fluss von äußerst großer Klarheit sahen. Eine Menge von Personen wurden vom Ufer angezogen, und all jene, die dort untertauchten, erglänzten in einer außerordentlichen Helligkeit. Ich bat also Unseren Viel-geliebten Erlöser um die Erklärung all dessen: Er sagte mir, dass dieser Fluss seine Barmherzigkeit darstelle, die stets bereit sei, die Reue des Sünders anzunehmen und seinen Werken den Wert zu geben, die Er denselben allein beizumessen vermag. O mein Jesus, wie wenig kennt man deine Barmherzigkeit.          ... Wie wenig denkt man an deine Leiden, die sie uns erworben haben! ...“

          Man kann sich vorstellen, mit welcher Bedachtsamkeit P. ETIENNE solche Mitteilungen aufgenommen hat, aber die „Lebensweise“ der Schwester sprach ganz zu ihren Gunsten und bestätigte die Tiefe der Überzeugungen zu denen sie sich berufen wusste.

C - WIR SOLLEN IMMER MEHR INS INNERSTE DER HERZEN CHRISTI UND MARIENS EINDRINGEN.

          Warum diese Betonung, uns durch die Wunderbare Medaille wie durch das grüne und das rote Skapulier hindurch in die Gegenwart des Herzens Christi und des Herzens Mariens zu stellen? Eine der großen Freuden für Pater NICOLLE war es, zu sehen, wie die Erzbruderschaft von der Heiligen Todesangst neben jener des Unbefleckten Herzens Mariens, die durch Pater DESGENETTES, Pfarrer von Notre Dame des Victoires, gegründet worden war, ihren Platz fand wie sie später ebenso neben jener vom Heiligsten Herzen Jesu auf dem Montmartre-Hügel ihren Platz einnahm. All dies steht in einem Zusammenhang und bildet eine Botschaft für unsere oft so harte Zeit. Das Herz Jesu und untrennbar davon das Herz Maria verehren, das ihn uns geschenkt hat, heißt bis zur tiefsten Ausdrucksweise der Barmherzigkeit Gottes gehen. Hat nicht der auferstandene Herr seinen Aposteln seine Hände und seine Seite gezeigt, bevor er ihnen die Gewalt übertragen hat, die aus seinem innersten Herzen und aus seiner Liebe hervorgeht, die Gewalt, die Sünden zu vergeben? ... wobei Er bereits vor dem Pfingstfest den Atem des Heiligen Geistes, die Liebe in Person, über sie aussenden lässt? ... Was Maria betrifft, so treffen wir sie zum letzten Mal im Abendmahlssaal wieder, wie sie mit der entstehenden Kirche zusammen denselben Geist empfängt, und wie sie diese weiterhin mütterlich begleitet bis zur Ankunft des Reiches Gottes.

          Der greise Simon sagte zu ihr, als sie mit der Opfergabe der Armen und mehr noch mit einem armen Herzen zum Tempel kam: „Dein Herz wird ein Schwert durchbohren.“ Seitdem hat Christus nicht mehr aufgehört, ein „Zeichen des Widerspruchs“ zu sein. Die erneuerte Verehrung seines Herzens und des Herzens Maria wird, wie wir hoffen, die wahre Liebe – „Verherrliche deinen Sohn und dein Sohn wird dich verherrlichen“ - aufleuchten lassen, die sich am Kalvarienberg so deutlich offenbart hat und die sich erst in der gänzlichen Selbsthingabe erfüllt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer für seine Freunde sein Leben hingibt.“

          Wie könnte unsere Liebe zum Nächsten erhalten bleiben, wenn wir nicht ständig zur Quelle dieser Liebe ginge?

Pater Michel LLORET CM
Generaldirektor


[1] als „Werke, die aus dem Herzen Gottes hervorgegangen sind“ (Päpstliches Breve)